Der Mariendom ist ein großer Speicher: Die hier erklungene Musik als Speicher der Kultur. Die Liturgie als Speicher unserer Gesellschaft. Die Orgel als Speicher der Klangfarben. Und die Glocken als Speicher der Zeit. Das Gemäuer des Mariendoms trägt seit 100 Jahren seine — aus tonmeisterlicher Sicht — höchst sonderbare akustische Signatur: ein gigantischer heller, feinporiger Nachhall und gleichzeitig präziseste Verständlichkeit über riesige Distanzen. Diese Akustik versteht das Stück als Einladung zu einem Dualismus aus innerer Verzahnung und äußerer Verschmelzung.

„speicher“ imaginiert das abstrahierte Echo aller Messen im Gemäuer: die fünf Miniaturen vereinen musikalische Gesten, räumliche Konstellationen, Nachklänge Bruckners und Obertonspektren der sieben Turmglocken, und fokussieren sich dabei jeweils auf eine Keimzelle musikalischer Gestik. Der Text all dieser Keimzellen entspringt einem einzigen Satz aus einem Psalm, heute so aktuell wie damals. In Silben, Vokale und Konsonanten zerschält erscheint er ständig in neuem Lichte, ähnlich wie die Kirchenfenster je nach Tageszeit den Raum in unterschiedliche Farben tauchen. Fünf Miniaturen, viereinhalb Worte: Warum – toben – die – Völker – ?.