ohrenöffner

ohrenöffner
die welt hat akustisch so viel zu bieten

entstanden 2019 in der immer fortwährenden beschäftigung mit alltagsklängen. plädoyer für das hin-hören in jeder alltags-situation.

Ohrenöffner Nr. 1: Schreiben. Nimm dir eine ruhige Minute und überlege dir ein schönes Wort. Du kannst zum Beispiel deinen Vornamen nehmen, jemanden auf der Straße darum bitten, dir ein Wort zu schenken, oder du nimmst einfach das Wort „Apfelbaum“. Räume deinen Schreibtisch komplett leer und platziere einen Papierkorb direkt daneben. Lege ein weißes Blatt A4-Papier in die Mitte und spitze deinen Lieblingsbleistift an. Schließe die Augen und schreibe das gewählte Wort so oft du kannst auf den Zettel (mindestens 100 Mal). Dabei ist es nicht wichtig, wo auf dem Zettel zu schreibst, du kannst auch deinen eigenen Text überschreiben. Wenn du nicht mehr kannst, zerknülle das Blatt und taste dich zum Papierkorb vor, um es dort hineinzuwerfen. Öffne erst dann die Augen. Sieh dir das Blatt nie an.

Ohrenöffner Nr. 2: Geständnis (zu zweit). Suche dir zwei weitere schöne Ohren: eine Person schreibt und eine hört zu. Nehmt euch eine ruhige Minute. Platziere die Hörerin auf der einen Seite ihres Schreibtisches und lasse sie die Augen schließen. Räume den Tisch komplett leer und platziere einen Papierkorb daneben. Setze dich gegenüber der Hörerin und lege ein weißes Blatt A4-Papier in die Mitte. Spitze deinen Lieblingsbleistift an und schreibe das ganze Blatt voll mit allem, was du deinem Gegenüber schon immer sagen wolltest. Zerknülle anschließend das Blatt und wirf es in den Papierkorb. Dann kann dein Gegenüber die Augen wieder öffnen. Ihr könnt die Übung mit vertauschten Rollen wiederholen.

Ohrenöffner Nr. 3: Sich die Haare raufen. Wenn du das nächste Mal in eine heikle Situation gerätst, nimm dir eine ruhige Minute. Schließe die Augen, forme deine beiden Hände zu Krallen. Setze die Hände symmetrisch seitlich am Kopf an, sodass sowohl Fingerkuppen als auch Fingernägel den Kopf berühren. Bewege die Hände nun vertikal (auf und ab). Gehe nach einiger Zeit in Kreisbewegungen über, weiter in horizontale Bewegungen (vor und zurück), dann wieder in Kreise, wieder in vertikale Bewegungen und so weiter. Entspanne deine Gesichtsmuskulatur! Kratze so lang, bis die heikle Situation vorbei ist oder all deine Haare ausgefallen sind. Dann kannst du die Augen wieder öffnen.

Ohrenöffner Nr. 4: Innen. Nimm dir eine ruhige Minute. Stecke deine beiden Zeigefinger in deine Ohren, schließe die Augen und höre so lang hin wie du kannst. Das ist Musik, die nur du selbst hören kannst! Lasse die Augen geschlossen, ziehe die Zeigefinger heraus und höre noch einige Zeit der Außenwelt zu, die wieder den Weg in deine Ohren findet.

Ohrenöffner Nr. 5: Innen – zu Gast. Suche dir zwei weitere schöne Ohren und nehmt euch eine ruhige Minute. Findet eine bequeme Situation, in der ihr zwei eurer Ohren aufeinander pressen könnt. Haltet euch das jeweils andere Ohr mit der flachen Hand zu, schließt die Augen und hört los.

Ohrenöffner Nr. 6: Fahrrad. Fahr mit deinem Fahrrad (wenn du keines hast, frage deinen Nachbarn) in den Park und suche dir ein ruhiges Plätzchen. Schalte auf den schwersten Gang (wenn du keine Gänge hast, sag deinem Nachbarn, du glaubst, es wäre Zeit für ein neues Fahrrad). Drehe das Fahrrad um, sodass Sattel und Lenkrad auf dem Boden sind. Schließe die Augen und kurbele mit den Händen am Fußpedal, sodass der Hinterreifen sich dreht. Kurbele so lange, bis du denkst, dass du eine Tour de France-Etappe gekurbelt hast. Öffne erst die Augen, wenn du glaubst, dass das Hinterrad wieder steht. Verbringe den Rest des Tages im Park. Gib deinem Nachbarn das Fahrrad nie zurück.

© Copyright 2019 by Jakob Böttcher. Weitergabe und Vervielfältigung gerne, aber nur nach Absprache.